Faust I mit einigen Bemerkungen zu Faust II

Faust I

Kerker

Die Szene, die im Urfaust in Prosa abgefasst war, beginnt
damit, dass Faust in sieben Versen die Türe zu Gretchens Kerker aufschließt.
Dabei thematisiert Faust wieder pathetisch das überindividuelle Streben: „Und
was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, Will ich in meinem innern Selbst
genießen,“(1770f). Hier wirkt dies jedoch schon fast zynisch, denn zunächst
liegt Gretchens ganzer Jammer vor ihm, wohingegen seine die Menschheit umfassende
Attitüde in ihrer Abstraktion deplaziert wirkt. Das wird auch kurz darauf durch
Gretchen zum Ausdruck gebracht: „Bist du ein Mensch, so fühle meine Not.“(4425)

Auch kommt Fausts Scham über das Geschehene zum Ausdruck: „Du fürchtest sie wiederzusehen!“(4410)

Gleichzeitig singt quasi das tote Kind aus Margarete im Inneren
des Kerkers das Lied aus dem Märchen vom Machandelboom. (Meine Mutter die Hur,
Die mich umgebracht hat!…)

Als Faust den Kerker betritt, bezeichnet er sich selber als „Geliebter“, wohingegen ihn Gretchen ironischerweise für den Henker hält: „Wer
hat dir Henker diese Macht Über mich gegeben!“(4426)

Gretchen hat die Vorstellung, dass ihr Kind noch lebt, sie
wirkt noch hermetisch in sich abgeschlossen: „Lasst mich nur erst das Kind noch
tränken.“(4443) Erst als Faust ihren Namen ruft, erkennt sie ihn, nennt ihn
aber nur „Freund“ und gleichzeitig fallen die Ketten, die Faust aufgeschlossen
hat, ab: „Ich bin frei! Mir soll niemand wehren. An seinen Hals will ich
fliegen, An seinem Busen liegen!“(4464ff) Doch obwohl Gretchen ihren inneren
Kerker durch den „liebenden Ton“ Fausts aufbricht, lässt sich das Gefühl der
Liebe nicht mehr herstellen, da Faust durch die Gefährlichkeit der Situation
zur Eile treibt. Auch führt dieses Aufbrechen des inneren Kerkers zu einer
Auseinandersetzung mit ihrer Schuld. Diese Phase ist durch gegenseitige
Missverständnisse und Verwirrung geprägt (weile – eile/müssen -küssen und später: frei – vorbei/ geboren –
verloren).

Während Faust weiter darauf drängt zu fliehen, erkennt
Gretchen immer mehr ihre eigene Situation. Ihre innere Befreiung zeigt sich nun
in der Auseinandersetzung mit dem, was sie getan hat. Ironischerweise wünscht
sie sich von Faust, dass er für ihr Begräbnis und das ihres Kindes sorgt.
Wieder erkennt Gretchen auch in dieser Szene Doppelnatur Fausts, so wie sie das
instinktiv am Anfang ihrer Beziehung erkannt hat: „Mir ist’s als müsst ich mich
zu dir zwinge, als stießest du mich von dir zurück;“(4533f) Gretchen nimmt nun
den eigenen Tod als Konsequenz ihrer Schuld an und verwirft den Gedanken an
eine Flucht: „Ist das Grab drauß, Lauert der Tod, so komm! Von hier ins ewige
Ruhebett Und weiter keinen Schritt – „(4538ff). Die Unmöglichkeit ihrer
Rettung wird noch durch den Gedanken an die Rettung ihre Kindes (Geschwind!
Geschwind! Rette dein armes Kind!) und den Gedanken an die tote Mutter, die wie
ein ewiges Mahnmal erscheint, dargestellt. Gretchen, das sich nun ihrer Schuld
geöffnet hat, nimmt Faust nach der Ambiguität der Wahrnehmung nun in seiner
mephistophelischen Gestalt wahr („Heinrich mir graut’s vor dir.“ (4610)) und
vertraut sich dem Gericht Gottes an („Dein bin ich Vater! Rette mich!“(4607)).
So durchläuft Faust in dieser letzten Szene in Gretchens Wahrnehmung die ganze
Bandbreite seiner Persönlichkeit, nämlich als begabt mit Liebe und erotischer
Kraft, aber auch ohne Skrupel über Leichen gehend und ihr Leben zerstörend.
Diese Wahrnehmung ist keineswegs als Ausdruck eines getrübten Bewusstseins zu
sehen, sondern ist sehr hellsichtig und zutreffend. In Gretchens letzter
Vision, in der sie die Welt stumm wie ein Grab sieht („Stumm liegt die Welt wie
das Grab!“ (4595)) kommt etwas zum Ausdruck, was eigentlich immer Faust für
sich beansprucht hat. Auch am Anfang der Szene kommt der Anspruch, wie oben
schon erwähnt, zum Ausdruck, das Leid der ganzen Menschheit zu empfinden; hier
in Gretchens letzter Vision stellt sie ihren Tod quasi als Tod der ganzen
Menschheit dar, ihre Todeserfahrung und Bereitschaft als die der ganzen
Menschheit. Ihr gelingt es, was Faust immer anstrebt, nämlich ihre eigene
Subjektivität zur Gattung Mensch zu erweitern.

Die Stimme von oben, die in der Frühfassung fehlte, ist
unter dramaturgischen Gesichtspunkten überflüssig, denn sie behält nicht das
letzte Wort im Stück. Das „Heinrich! Heinrich“ (4614), das Gretchen aus dem
offenen Kerker Faust nachruft ist sowohl Abschied, als auch ein Bekenntnis zu
ihm selbst. Gretchen hat zu sich gefunden und muss Faust nicht verurteilen,
aber sie ist allein, kann ihn nicht mehr lieben und bedarf seiner Liebe nicht
mehr. Der äußere Kerker bleibt offen, die Ketten sind gefallen; Gretchen, das
naive Mädchen aus dem Kleinbürgertum hat die Statur einer tragischen Heldin
gewonnen.

Nacht, offen Feld

Diese kurze Zwischenszene wirkt gespenstisch, wie aus einer
Zwischenwelt, die sofort an den Anfang von ‚Macbeth’ erinnert: „So foul and
fair a day I have not seen.“ (?)
“What are these, So withered and so wild in their attire, That look not like
th?inhabitants o’th’earth, And yet are on it?”

Geht man davon aus, dass die Hexen in ‚Macbeth’ dramtische
Elemente sind, die den tiefen Wünschen von Macbeth nach Macht Ausdruck
verleihen, so sind die gespenstischen Elemente in dieser kurzen Szene Ausdruck
von Fausts Angst und Furcht, die beim Vorbeireiten an der Richtstätte
aufkommen. Was sind ?die dort? (4398), die sich Fausts Phantasie zu entziehen
scheinen? Mephisto nennt sie eine ‚Hexenzuft’, doch könnten es auch die Raben
sein, die im Nebel am Galgen ihre grausige Arbeit verrichten. ?Schweben auf,
schweben ab, neigen sich, beugen sich.? (4401) Und Faust scheint weiterhin
nicht in der Lage zu sein, die Szene in ihrer wirklichen Bedeutung zu erkennen:
„ Sie streuen und weihen.“ (4003), so, als wolle er sich vor der Erkenntnis der
grausamen Wirklichkeit schützen.

Auch hier gibt es wieder eine Verbindung zu ‚Macbeth’. Macbeth wehrt sich zunächst gegen
die Prophezeiung der Hexen: “If chance will have me king, why, chance may crown
me Without my stir.”

Genauso unklar wie die Einschätzung dessen, was die beiden
be ihrem Ritt sehen, ist Mephistos Schlussbemerkung: „Vorbei! Vorbei!“ (4004)

Ist es eine Aufforderung vorbeizureiten, ist es eine Aussage
über Gretchens Schicksal? Ist die Erscheinung vorbei? Ist es möglicherweise
eine Aussage über den Gang der Tragödie, die auf ihr Ende zueilt?

Mir scheint, die Szene ist insofern für die ganze Tragödie
von Bedeutung, als sie mit einem eindrucksvollen Bild die Situation des
Menschen darstellt, nämlich die Grenzen der Erkenntnis, die
erkenntnisverhindernde Kraft der Illusion und die Macht des Irrtums, der sich
in seinen grausamen Folgen zeigt.

Trüber Tag. Feld

Die Szene besitzt zunächst die Funktion darüber aufzuklären,
dass Gretchen im Kerker ist.

Im Zusammenhang damit wird natürlich auch die Schuldfrage
aufgeworfen.

Außerdem wird das Verhältnis Faust-Mephisto erneut in Frage
gestellt und schließlich Fausts Rettungsabsicht Mephistos Zynismus
gegenübergestellt: „Sie ist die erste nicht.“

Dabei wird wieder Fausts ganze Doppelbödigkeit deutlich.
Zwar geht seine Verzweiflung über das individuelle Schicksal Gretchens hinaus
und bezieht sich auf die ganze Menschheit, zwar verflucht er Mephisto und
wünscht ihn wieder in seine Hundegestalt zurück, doch andererseits braucht er
ihn auch als Projektionsfläche, um ihm die Schuld an dem zu geben, was mit
Gretchen geschieht, denn Faust hat die ?abgeschmackten Zerstreuungen? selbst
gesucht, er hat sich seiner Verantwortung entzogen, die er nun dem ‚Alter Ego’
aufzubürden versucht. Wieder einmal wird deutlich, dass Faust beiden ist: der
Verzweifelnde, der Gretchens Leid und seine Schuld tief empfindet und Wege sucht,
sie zu retten, aber auch derjenige, der sie verantwortungslos ihrem Schicksal
überlassen hat und sie in diese verzweifelte Lage gebracht hat.

Faust braucht Mephisto nun, um Gretchen retten zu können. Er
soll ihn in ihren Kerker führen. Hier wird auch deutlich, dass Mephisto eben
nicht nur eine Seite Fausts verkörpert, sondern auch ironischerweise als ?deus
ex machina? bezeichnet werden könnte, der dramatische Situationen herbeführen
kann, die normalerweise außerhalb des menschlichen Vermögens liegen. Sie sind
aber keineswegs künstlich, sondern ermöglichen in ihrer irrealen Qualität Lösungen
und Erkenntnisse, die die Fragen: ?Was ist der Mensch? Was kann der Mensch? Was
kann ihn erlösen? Wie geartet ist das Verhältnis von Gut und Böse im
menschlichen Leben?? ein Stück weit beantworten sollen.

Bei dieser Szene handelt es sich um Sturm- und Drang ?
Prosa. Der Pathos erscheint der Tiefe der Empfindung angemessen, allerdings so
echt den „Stürmern und Drängern“ diese Darstellung der Gefühle vorgekommen sein mag:
Vielleicht hat Goethe diese Szene zum Urfaust unverändert gelassen, weil zur
Zeit der Fertigstellung des Faust I diese Darstellung schon nicht mehr so echt
gewirkt hat, vielleicht dadurch einen Hauch von hohlem Pathos gewonnen hat, der
die Doppelbödigkeit von Fausts Handeln unterstreicht.

Faust I Walpurgisnacht

Während Gretchen sich immer stärker in sich abschließt, geht
Faust den entgegengesetzten Weg, nämlich den in die Welt der ‚flachen
Unbedeutenheit’ (1816) Zunächst einmal hat Goethe in diese Szene in ihrer
endgültigen Fassung viele pornografische Elmente gestrichen. Sicherlich wäre sie in ihrer endgültigen
Fassung in der damaligen Zeit nicht auf der Bühne darstellbar gewesen. Nun ist Mephisto mit Faust auf dem Weg zum Gipfel des
Brocken, wo der Satan, der machtvollste Herrscher der Finsternis, eine Messe feiert. Auf dem Weg zum Gipfel
aber verlieren Faust und Mephisto immer mehr die Zielgerichtetheit (Nur fest an
mir! Sonst sind wir gleich getrennt. Wo bist du? Faust: (in der Ferne)
Hier!?(4020ff)), auch erweist sich der Weg als gefährlich: ?Du musst des
Felsens alte Rippen packen, Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde
Gruft.? (3938) Es gibt Stimmen von oben und unten und lösen die Zielrichtung
Gipfel immer mehr auf. Schließlich ist es Mephisto, der zur Bescheidenheit rät und
weit unterhalb des Gipfels zur Einkehr mahnt, auch hier wieder ganz der Geist
des Widerspruchs ist: ?Da sieh nur, welche bunten Flammen! Es ist ein muntrer Klub
beisammen. Im Kleinen ist man nicht allein.?(3034ff) Faust möchte weiter: ?Doch droben möchte ich lieber sein!
Schon seh ich Glut und Wirbelrauch. Dort strömt die Masse zu dem Bösen; Da muss
sich manches Rätsel lösen.? (4037)
Mephisto: ?Doch manches Rätsel knüpft sich auch. Lass du die
große Welt nur sausen, Wir wollen hier im stillen hausen. Es ist doch lange
hergebracht, dass in der großen Welt man kleine Welten macht??(4041ff)
Hier tritt nun das erotische Fest an die Stelle der
Machtdemonstration Satans. Faust bleibt in der ?kleinen Welt?, die ?große Welt?
ist dem zweiten Teil des Faust vorbehalten.
Während Faust nun mit der Schönen tanzt, holt ihn sein
Gewissen ein und er hat eine Vision von Gretchen, die er bereits als
Hingerichtete wahrnimmt: ?Fürwahr, es sind die Augen einer Toten, Die eine
liebe Hand nicht schloss. Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten, Das ist
der süße Leib, den ich genoss.? (4195ff) Die moralische Seite Fausts triumphiert hier über seine
sinnliche Seite, indem er sich den Lockungen Mephistos entzieht.

Die Szene endet mit einer ironischen Darstellung von
schlechtem Theater (?ein Dilettant hat es geschrieben, Und Dilettanten
spielen?s auch.? (4217f)), das Mephisto auf den Blocksberg wünscht.

Faust I Dom

Margarete wird hier zwischen dem inneren Erleben,
repräsentiert durch die Stimme des ?Bösen Geistes? und der äußeren Instanz des
Chors quasi zerdrückt.

Gretchen kann dieser Situation nicht entfliehen, der einzige
Ausweg bleibt die Flucht in die Ohnmacht, die ihre Situation auch treffend
charakterisiert.

Natürlich wird hier die Bedrohung durch die kirchliche
Botschaft, die Gretchen auch verinnerlicht hat deutlich hervorgehoben. Wenn
Goethe hier von einem bösen Geist spricht, dann kooperiert dieser böse Geist
ironischerweise mit der kirchlichen Botschaft und das arme Gretchen wird in die
Zange genommen.

Böser Geist:

?Betest du für deiner Mutter Seele, die Durch dich zur
langen, langen Pein hinüberschlief? Auf deiner Schwelle wessen Blut? ? Und
unter deinem Herzen Regt sich?s nicht quillend schon Und ängstigt dich und sich
Mit ahnungsvoller Gegenwart?? (3786ff)

Gretchen:

?Wär ich hier weg! Mir ist, als ob die Orgel mir Den Atem
versetzte, Gesang mein Herz Im Tiefsten löste.?(3808ff)

Chor: Wenn der Richter auf dem Throne sitzt, wird das
Verborgene offenbar. Nichts wird ungerächt bleiben. (3813)

Hier die deutsche Version dieses Totenamtes:

Jener Tag löst die Weltzeit in Asche auf

Wenn der Richter auf dem Throne sitzt, wird

Verborgenes offenbar. Nichts

Wird ungerächt bleiben.

Was soll ich Elender denn sagen?

Wen als Fürsprecher erbitten,

wo kaum der Gerechte sicher ist?

Was soll ich Elender denn sagen?

Natürlich ist das, was Gretchen darauf sagt: ?Nachbarin!
Euer Fläschchen!-? (3834) durch den Kontrast der Aussagekraft von höchst
dramatischer Wirksamkeit und entbehrt auch nicht der Komik.

Am Brunnen Zwinger Nacht

Am Brunnen/Zwinger

In der Szene ?Am Brunnen? wird Gretchens Schicksal zunächst
durch das Bärbelchens gespiegelt. Es wird auch schon durch die hämischen
Bemerkungen Lieschens das Element der sozialen Ächtung der unehelich
Schwangeren eingeführt. Gretchen ahnt in dieser Szene schon ihr eigenes
Schicksal, zeigt viel Sympathie für Bärbelchen (Wie konnt ich sonst so tapfer
schmälen, Wenn tät ein armes Mägdlein fehlen! Wie konnt ich über andrer Sünden
Nicht Worte gnug der Zunge finden!? (3577ff)) und hofft, dass sich deren
Schicksal noch abwenden lässt: ?Er nimmt sie gewiss zu seiner Frau.?(3570) Eine
Illusion, die ihr Lieschen aber sofort nimmt: ?Er wär ein Narr! Ein flinker
Jung hat anderwärts noch Luft genug. Er ist auch fort.? (3571ff) Dennoch steht
Gretchen zu ihrer Liebe und verteidigt quasi im Monolog ihre Handlungsweise:
?Doch ? alles, was dazu mich trieb, Gott! War so gut! Ach, war so
lieb.!?(3585f) Welch eine tapfere Auflehnung gegen die herrschende Moral!

In der Szene ?Im Zwinger? ist Gretchens Ahnung zur
Gewissheit geworden. In ihrer Klage, die möglicherweise als Gesangsszene
gedacht war, werden schon Schlüsselworte wie ?Not? und ?Tod? laut. Es handelt
sich hier um eine äußerst anrührende und dramatische Szene, in der wir indirekt
von Gretchens Schwangerschaft und dem damit verbundenen Schicksal erfahren. Die
Szene ist voller Bilder: die Scherben, die gebrochenen Blumen, die sie nun der
Jungfrau Maria weiht als der einzigen, der sie sich ihrer Not an heimlichem Ort
offenbaren kann.

Nacht

Die Szene ?Nacht? ist stärker gegliedert als die
vorhergehenden Szenen. Zunächst haben wir Valentins Monolog, der mehr sich
selbst beklagt als seine einst tugendsame Schwester, dann den
Faust-Mephisto-Dialog bei der Schatzhebung, dann Mephistos zynisches Warnlied
vor Gretchens Fenster, die Kampfszene mit der tödlichen Verletzung Valentins
durch Faust bzw. Mephisto und schließlich die Familienszene einschließlich
Martens, in der der sterbende Valentin seine Schmährede gegen Gretchen hält und
dabei kein Urteil bürgerlicher Moral auslässt. Er stirbt als Soldat quasi auf
dem Feld der Ehre, wobei die Heuchelei der bürgerlichen Moral darin zum
Ausdruck kommt, dass er im Angesicht des Todes Gretchen nicht verzeiht, sondern
verflucht und sich selbst als ?brav? bezeichnet.

Sicherlich ist das Urteil, das er hier spricht auch dafür
verantwortlich, dass Gretchen ihr Kind tötet und so der Justiz anheim fallen
wird.

Faust, der sich zumindest des Totschlags schuldig gemacht
hat, flieht mit Mephisto und lässt Gretchen allein, die nun ihre ganze Familie
verloren hat und ganz alleine ihrem Schicksal ausgeliefert ist und bis in den
Kerker hinein alleine sein wird.

„Gretchenfrage“

Marthens Garten

In dieser Szene nun wird die Liebesnacht konkret
vorbereitet. Diese Liebesnacht, die direkt den Tod der Mutter nach zieht ist
die Peripetie der Tragödie. Von nun an führt die Handlung zu Margaretes
Untergang.

Zunächst einmal: Wieder sind Faust und Mephisto zwei Seiten
einer Person. Während Faust in Wald und
Höhle
noch sich selbst dafür verantwortlich macht, dass Gretchens Frieden
untergraben ist, so übernimmt hier Mephisto diesen Part. Er steht für die
Sexualität, zu der sich die Szene hinentwickelt und die Gretchen am Anfang der
Szene angstvoll empfindet und Mephisto ist es, der am Schluss der Szene
triumphiert: ?Hab ich doch meine Freude dran!? (3543) (Lust am sexuellen Akt,
Lust am Untergang)

Doch zunächst einmal beginnt die Szene mit dem sogenannten
Religionsgespräch. Man trifft sich wieder am scheinbar neutralen Ort in
Marthens Garten. Die Szene beginnt am entscheidenden Punkt des Gesprächs, der
Regligions-und Glaubens-Frage: ?Nun sag, Wie hast du?s mit der Religion??(Gretchenfrage) Diese wird von Faust im Sinne des jungen Goethe pantheistisch beantwortet: ?Erfüll
davon dein Herz, so groß es ist, Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst, Nenn?s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen
Namen Dafür! Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd
Himmelsglut.? (3451ff)

Doch Gretchen spürt in Mephisto die Bedrohung durch die
Sinnlichkeit. Diese Angst blockiert geradezu ihre Liebesempfindung: ?Es tut mir
lang schon weh, Dass ich dich in der Gesellschaft seh.? (3469f) und: ?Mir
wird?s so wohl in deinem Arm,(?) Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.?
(3491ff) und: ?Das übermannt mich so sehr, Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.? (3495ff).

Einerseits ist Gretchens moralisches Weltbild grundsätzlich
in Frage gestellt, so sehr, dass sie sogar an der Liebe zu Faust zweifelt,
andererseits ist sie durch Mephistos Gegenwart überwältig. Ihre moralische
Ablehnung (?Ich muss nun fort? 3502) geht daher auch direkt in die Einwilligung
zur Liebesnacht über: ?Ach wenn ich nur alleine schlief! Ich ließ dir gern heut
nacht den Riegel offen;? (3505f)

So geht die übersinnliche, spirituelle Thematik des Anfangs
im Verlauf der Szene in den Bereich der Sexualität über.

Am Ende der Szene, nach Gretchens Abgang und Mephistos
Auftritt spielt Faust wieder den Part dessen, der Gretchen gegen Mephisto
verteidigt, wohingegen dieser auch hier Faust wieder auf die Doppelbödigkeit von Fausts Haltung hinweist: ?Du übersinnlicher sinnlicher Freier,??((3534).

Wald und Höhle / Gretchens Stube

Beide Szenen gehören zusammen, indem Wald und Höhle einen Gegensatz zu Gretchens Stube bildet.

Einerseits haben wir in Wald und Höhle die freie Natur, in der sich Faust aufgehoben fühlt und in der er über die menschliche Natur im Verhältnis zu ihr reflektiert.

Andererseits haben wir Gretchens Stube, die „kleine Welt“ (3355), in der Gretchen immer
wieder „mit kindlich dumpfen Sinnen“ (3352) die verlorene Ruhe beklagt, aber ganz auf Faust fixiert ist und schließlich ihre Sehnsucht nach Sinnlichkeit zum Ausdruck bringt.

Faust ergeht sich in der Natureinsamkeit und scheint nun ohne den Versucher Mephisto in der Lage zu sein, seine sinnlichen Begierden zu kontrollieren, weiß aber doch, dass sein
Alter Ego Mephisto leicht seine Begierde wieder anfachen kann: „O dass dem
Menschen nichts Vollkommnes wird, Empfind ich nun. Du gabst zu dieser Wonne
(Kontemplation der Natur und Geschichte) Die mich den Göttern nah und näher
bringt, Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr Entbehren kann, wenn er
gleich, kalt und frech, Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts, mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt. Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer Nach jenem schönen Bilde geschäftig an.
„So tauml ich von Begierde zu Genuß, und im Genuß verschmacht ich nach
Begierde.“(3240ff)

Der Verführer wird sich gegen
die moralische Seite in Faust durchsetzen. Hier taucht auch wieder Mephistos
zynische Bemerkung auf, dass sich Faust etwas vorlügt (siehe
„Straße“): „Und kurz und gut, ich gönn ihm das Vergnügen,
Gelegentlich sich etwas vorzulügen; Doch lange hält er das nicht aus“
(3297f) (siehe auch Bild der Zikade)

Im zweiten Teil von
„Wald und Höhle“ sehen wir Faust dann nicht mehr in ruhiger, harmonischer Betrachtung,
sondern im Kampf mit Mephisto zerrissen und letztlich auf verlorenem Posten.

Faust: „Pfui über
dich!“(3293) Mephisto: „Genug damit!Dein Liebchen sitzt
dadrinne,…“(3303)

Faust: „Bring die Begier
zu ihrem süßen Leib Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!“(3328)

Faust stürzt nun auf den
Abgrund zu: „Der Unmensch ohne Rast und Ruh, Der wie ein Wassersturz von
Fels zu Felsen brauste, Begierig wütend nach dem Abgrund zu?“(3350f)

Nur, Faust weiß, dass er Gretchen mit in den Abgrund nimmt: „Sie, ihren Frieden mußt ich
untergraben! Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben! Hilf, Teufel, mir die Zeit
der Angst verkürzen! Was muss geschehn, mag’s gleich geschehn! Mag ihr Geschick
auf mich zusammenstürzen Und sie mit mir zugrunde gehen!“(3360ff)

Noch sieht Faust den Weg in den Abgrund als einen gemeinsamen.

Der oben schon angesprochene Gegensatz zwischen Wald und Höhle und
Gretchens Stube zeigt sich auch in der sprachlichen Form. Hier die fünfhebigen Jamben Fausts mit den weitausholenden Reflexionen, dort das einfache Strophenlied Gretchens, das immer wieder zu der hilflosen Klage „Meine Ruh ist hin.“zurückkehrt. Gretchen klammert sich geradezu an diese einfachen Strophen und an die Routine der häuslichen Tätigkeit, um dann aber schließlich doch über die Darstellung ihrer eigenen Befindlichkeit, über die
Hinwendung zu Faust, über die sinnlichen Bedürfnisse, die daraus entstehen, zu
einer Ahnung des tragischen Endes zu kommen: „An seinen Küssen vergehen
sollt!“(3412f)

Garten / Gartenhäuschen

Diese Szene ist wieder mehrschichtig.

Auf der einen Seite zeigt sie die Entwicklung der Liebesbeziehung zwischen Faust und Gretchen, auf der anderen Seite zeigt sie die ausgefuchste List, mit der sich die Kuplerin und der Teufel sprachlich umeinander drehen.

Beide Ebenen, die des jungen Liebesglücks bis hin zum ersten Kuss und die von Marthe und Mephisto gehen nahtlos ineinander über, stellen so also ein Kontinuum dar, was auf das junge Liebesglück relativierend wirkt. Die Absolutheit des Gefühls wird zurückgenommen, indem Mephistos gespielte Naivität und Marthes zielgerichtetes Drängen die Kehrseite der reinen Liebe repräsentiert.

Die Liebe zwischen Faust und Gretchen ist damit schon an ihrem Anfang getrübt.

Faust scheint das zu bemerken, indem er das Ende dieser Liebe beschwörend verbal abzuwenden versucht:

?Sich hinzugeben ganz und eine Wonne

Zu fühlen, die ewig sein muss!

Ewig! ? Ihr Ende würde Verzweiflung sein.

Nein, kein Ende! Kein Ende!? (3191)

Nun wäre es umso tragischer, wenn gerade er es wäre, an dem diese Liebe scheitert.

Straße

Diese Szene enthält gerade einmal 50 Verse. Mephisto will Faust dazu bringen, den Tod von Herrn Schwertlein in Padua zu bezeugen obwohl dieser nichts davon weiß.

Im Kern dieser Szene geht es jedoch um das Verhältnis von Wahrheit und Lüge. Faust wird von Mephisto hier schon auf die Ernsthaftigkeit seiner Liebe zu Gretchen hinterfragt.

Während Faust Mephistos Plan zurückweist: ?Wenn er nichts Bessers hat, so ist sein Plan zerrissen!? (3039) versucht Mephisto diese Wahrheitsliebe auf die ewigen Liebesschwüre an Gretchen zu übertragen und als Heuchelei darzustellen: ?Ja, wenn man?s nicht ein bißchen tiefer wüßte. Denn morgen wirst, in allen Ehren, Das arme Gretchen nicht betören und alle Seelenlieb ihr schwören?? (3051ff) und: ?Gut und schön! Dann wird von ewiger Treu und Liebe, Von einzig überallmächt?gem Triebe ? Wird das auch so von Herzen gehen?? (3056ff)

Wenn Mephisto hier die Lüge oder auch Illusion Fausts zu entlarven versucht, so spielt er wieder den Gegenpart zu Faust und reflektiert dessen emotionale und triebhafte Zielgerichtetheit.

Faust gibt Mephisto recht: ?Denn du hast recht, vorzüglich weil ich muss? (3072).

Dieses muss bezieht sich wohl sowohl auf Faust Empfindung zu Gretchen, als auch auf die Tatsache, dass dieses Eintauchen in die Emotionalität und Triebhaftigkeit dem Streben von Faust nach neuen Erfahrungen entspricht und somit auch eine Erfüllung des Pakts darstellt.

Der Nachbarin Haus

Die Szene kontrastiert in gewisser Weise mit der emotional aufgeladenen Liebesbeziehung zwischen Faust und Gretchen, indem sie in zynisch destruktiver Weise die eheliche Beziehung zwischen Frau Marthe und ihrem Mann darstellt. So entwickelt sich bei Frau Marthe immer eine positive Haltung ihrem Mann gegenüber, wenn ihr Mephisto ein Erbe in Aussicht stellt, um in eine Tirade wüster Beschimpfungen überzugehen, wenn sich diese Aussicht zerschlägt.

So wird zynischerweise die Ehe auf die materielle Seite reduziert. Dabei ist auffällig, dass auch die Beziehung zwischen Faust und Gretchen mit dem Schmuck und seinem Besitz beginnt, was möglicherweise eine Vorausdeutung auf eine potentiell parallele Entwicklung dieser Liebesbeziehung ist, falls sie andauern sollte oder in eine Ehe einmünden sollte.

Das zeigen auch zahlreiche Hinweise wie Gretchens Äußerung: „Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles. Ach wir Armen.“ (2802ff) beziehungsweise die Tatsache, dass Gretchen über den Besitz des Schmuckes einen ‚Pakt‘ mit Frau Marthe trifft.

Spaziergang

Mephisto hat in dieser Szene dem verliebten Faust gegenüber die Rolle des Satirikers, der die Kirche im Hinblick auf ihr Besitzstreben entlarvt. Es ist allerdings auch nicht verwunderlich, dass der Teufel die Kirche angreift. Er zeigt sich aber auch als ewiger Verneiner dadurch, dass er nach Fausts Abgang dessen Verliebtheit höhnisch angreift und damit die Seite Fausts darstellt, die den eigenen Eros als destruktive Macht erkennt und ihn zu fliehen sucht.

Mephistos Rolle zeigt sich hier als die des stets zynisch Verneinenden und kann in dieser Rolle den Inhalt wechseln.

„So ein verliebter Tor verpufft

Euch Sonne, Mond und Sterne

Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.“(2863ff)

Hexenküche

Es fehlt ein Hinweis darauf, dass Faust den Trunk tatsächlich nimmt. Es ist auch nicht klar, ob er sich um dreißig Jahre verjüngt. Dramaturgisch gesehen wäre diese Verjüngung aber eine äußere Angleichung an das Begehren, das ?Das schönste Bild von einem Weibe? (2436),das er im Zauberspiegel sieht, in ihm auslöst.
Faust sieht aber jedenfalls dieses Bild nicht durch den Trunk, sondern er ist in dieses Bild versunken, während sich um ihn das Treiben der Hexenküche abspielt. Die weitere Handlung ist also durch eine innere Bewegung des äußerlich stillstehenden Faust verursacht.

Auerbachs Keller


Hierzu nur einige stichwortartige Bemerkungen:

  • Geistloses und trunksüchtiges Studentenmilieu kontrastiert Fausts Erkenntnisstreben und Leiden.
  • Hier herrscht die von Mephisto angekündigte ?flache Unbedeutenheit? .(1861)
  • Die Szene spiegelt Fausts magische Versuche in „Nacht“.

Faust spricht nur einen Satz: „Ich hätte Lust nun abzufahren.“ (2296)
Die Reise geht weiter.

Faust I Studierzimmer II

Diese Szene ist die unfangreichste des ganzen Dramas. Sie enthält die Faust?sche Motivation für die Mephisto-Beziehung (Pakt), den Ausdruck seiner Leiden und seiner Wünsche und im Zentrum der Szene schließlich die ?Wette? und schließlich endet sie mit dem satirisch gestalteten Schülerauftritt.

Aufgabe: Arbeiten Sie heraus, was Faust zum Pakt mit Mephisto bewegt und welche Wünsche und Bedingungen er damit verbindet.

Was ist es nun, was Faust will?

Lasst es uns hier mit ein paar prägnanten Sätzen zusammenfassen:

Faust möchte, frustriert von der Zurückweisung auf seine eigene Subjektivität und damit frustriert von der Rationalität, die ihm diesen Zugang nicht ermöglicht (Mir erkelt lange vor allem Wissen. Lass in den Tiefen der Sinnlichkeit uns glühende Leidenschaften stillen!1749ff) nun diese Subjektivität auf die ganze Menschheit erweitern und dabei nicht Genuss im Sinne von Befriedigung = Ruhe, Ende des Strebens finden:
?Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichen Genuss, Verliebtem Hass, erquickendem Verdruss. Mein Busen, der vom Wissendrang geheilt ist, soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen, Und was der ganzen Menschheit zugeteitl ist, Will ich in meinem innern Selbst genießen,…? (1766ff)

?Erst dann schein ihm der Kerker seiner Innenwelt aufgebrochen werden zu können, wenn er nicht den hedonistischen Lebensgenuss an die Stelle der zuvor angestrebten Allheit des Wissens setzt, sondern wenn er das in sich Gegensätzliche anstrebt, in dem er die Ganzheit seiner Erfahrung aufgehoben sieht.? (Erdmuthe Pickerodt-Uthleb/Gerhart Pickerodt: Johann Wolfgang Goethe ? Faust I S. 9)

Wichtig ist auch, dass er diesen sinnlichen Genuss mit seiner geistigen Seite verbinden will:
?Mit meinem Geist das Höchst? und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End auch ich zerscheitern.? (1772ff)

Mephisto macht Faust auf die Unmöglichkeit dieses Vorhabens aufmerksam,
Faust setzt Mephisto sein ?Allein ich will!? entgegen. (1784)

So bewegt sich Faust von der Verfluchung der Welt (1591ff) hin zu Wünschen, die er mit neuen Erfahrungen verbindet zum Pakt mit Mephisto und der Wette.

Mephisto nimmt dabei die depressive Ablehnung der Welt zum Anlass, Faust ein Paktangebot zu machen (1635).
Der Pakt beinhaltet, dass Mephisto im Leben Faust zu Diensten sein will, dafür verlangt er Fausts Seele. (Faust: ?Das Drüben kann mich wenig kümmern? (1660)
Dabei soll das, was Faust von Mephisto verlangt, wie oben schon gesagt, kein banaler Genuss sein, sondern ?(u)nd was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, Will ich in meinem innern Selbst genießen?. (1770)

Hier hat Faust in Bezug auf die sinnliche Erfahrbarkeit den gleichen Absolutheitsanspruch wie am Anfang in Bezug auf die rationale Erfassung der Welt.
Im Gegensatz zu diesem absoluten Anspruch Fausts setzt Mephisto die Banalität: ?Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen.?(1691), ?Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt. Beliebt?s Euch, überall zu naschen, Im Fliehen etwas zu erhaschen, Bekomm Euch wohl, was Euch ergetzt. Nur greift mir zu und seid nicht blöde!? (1760)

Faust verbindet den Pakt mit einer Wette:
Er wettet, dass Mephisto ihn niemals dazu verführen kann, sein Streben aufzugeben: ?Kannst du mich schmeichelnd je belügen, Dass ich mir selbst gefallen mag, Kannst du mich mit Genuss betrügen: Das sei für mich der letzte Tag! Die Wette biet ich!? (1694ff)

Mephisto kann getrost einschlagen: ?Du bist am Ende ? was du bist.? (1806)
(siehe auch Zikaden-Motiv im Prolog)

Mephisto führt auch einen weiteren Aspekt ein (1815ff): Während Faust nur an der Entwicklung seiner eigenen Fähigkeiten, seiner Stärke und Macht interessiert ist, zeigt ihm Mephisto die Möglichkeit des Erwerbs äußerer Machtmittel auf: ?Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, Sind ihre Kräfte nicht die meine?? (1824f)

Bevor Faust und Mephisto nun in Fausts neues Leben aufbrechen, endet diese Szene nun mit der ironisch gestalteten Schüler-Szene.
Hier idealisiert Mephisto, quasi eine Rolle spielend, in Vertretung von Faust ?Vernunft und Wissenschaft?. Natürlich ist seine Idealisierung der Wissenschaft nur für den Schüler eine solche. Mephistos Darstellung ist satirischer Art: ?So wird?s Euch an der Weisheit Brüsten Mir jedem Tage mehr gelüsten?. (1892f)

Linkliste Goethe Faust 1

Goethe: Faust I

http://www.hamburger- bildungsserver.de/welcome.phtml?unten=/faecher/deutsch/autoren/goethe/faust.html Eine ausgezeichnete Linkliste des Hamburger Bildungsservers zu Faust I und II


J.W.Goethe: Faust, das „große Rätsel“


[ via: J.W.Goethe: Faust, das „große Rätsel“ ]

Faust I Der Pakt

Das also ist des Pudels Kern


Studierzimmer I

Von Anfang an wird hier der Doppelcharakter Mephistos deutlich:
Einerseits zeigt sich Mephisto schon als Pudel in seiner Rolle als derjenige, der Unruhe und Unordnung in Fausts Studierzimmer bringt. ?Sei ruhig Pudel! Renne nicht hin und wider!? (1186)
Der Pudel stört so im weiteren Verlauf der Szene den kurzen Moment der Zufriedenheit, den Faust hier in seiner emotionalen Berg-und Talfahrt erlebt. (?Vernunft fängt wieder an zu sprechen, und Hoffnung wieder an zu blühn, man sehnt sich nach des Lebens Bächen, Ach! Nach des Lebens Quelle hin.?(1198ff)
Andererseits ist Mephisto selbst an bestimmte Regeln gebunden; so ist es ihm nicht möglich, das Zimmer zu verlassen: die kleine Unregelmäßigkeit des Drudenfußes hindert ihn daran: ?S?ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster: Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.? (1410f)
Außerdem hat Mephisto einen festen Platz im Gesamtzusammenhang der Schöpfung:
?Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war.
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar…? (1349f)
Durch diese Situation am Anfang der Szene zeigt sich, dass die Machtverhältnisse zwischen Mephisto und Faust nicht klar verteilt sind. So hat Faust durch die Zeichen, die ihm zu Gebote stehen, Macht über Mephisto, während Mephisto natürlich auch Macht über Faust hat, schon indem er dessen Wünsche erfüllen kann.
Ebenso handelt es sich bei Faust ? Mephisto nicht um den Antagonismus Gut ? Böse.
Wie Mephisto selber sagt, kommt die Schöpfung nicht durch ihre Negation aus. Genauso ist daher Mephisto in seiner Existenz von der Schöpfung abhängig und in sie eingebunden.
Seine Klage über ständig neu zirkulierendes Blut klingt ganz wie die Klage eines kleinen Buchhalters in einem großen, von ihm nicht zu kontrollierenden Betrieb, dem die Arbeit über den Kopf wächst.

Um nun die Rolle Mephistos weiter zu definieren:

Faust übersetzt die Bibel und kommt angesichts des Johannes-Evangeliums im neuen Testament zu der Überzeugung, dass am Anfang die Tat stand. Damit ist die weitere Handlung angelegt: Der Theoretiker und Buchgelehrte Faust wird zum Mann der Tat. Mehr noch: ?Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns…? (Johannes 1, 14)
Faust wird auch seine Studierstube verlassen und mit Mephisto zusammen die Sinnlichkeit entdecken. Das ist der Bereich, in dem Mephisto Faust dazu bringen will, sein Streben aufzugeben, sich, wie Faust es ausdrückt, ?auf ein Faulbett? zu legen und das Verweilen höher stellen soll als das Streben.
Wie stellt sich nun aber die Figur des Mephisto in diesem Zusammenhang dar?
Die erste Tat, die Faust vollbringt, ist, Mephisto aus seiner Pudelgestalt herauszuzwingen und sich zu erkennen zu geben. ?Das Wort ward Fleisch?? So kann man das wohl nicht nennen, denn Mephisto war schon Pudel, also Fleisch. Da liegt der Schluss nahe, dass der Pudel mit seiner tierischen Natur nichts anderes ist als ein Teil von Faust, der sich hier seine mephistophelische Natur selber schafft, dargestellt im Bild des Pudels. (Siehe auch: ?und dass ein Pudel mir entsprang??1529)
Mephisto ist also wohl Fausts sinnliche, tierische, triebhafte Seite, die da im Studierzimmer eine dramatische Gestalt gewinnt.
Natürlich ist hier der Anfang des Johannes-Evangeliums verzerrt gespiegelt. Denn die Fleischwerdung weist dort auf Jesus Christus, also auf den Erlöser hin, bei Faust jedoch auf Mephisto, also den Versucher.
Aber Mephisto gehört zum vollen Leben, wie Faust es erleben will, er ist ein Teil davon und spielt, wie oben schon gesagt, eine notwendige Rolle. So wie gut und böse zusammengehören, gehören auch Faust und Mephisto zusammen.

Mephisto beginnt sein ?Sinnlichkeitsprogramm? mit ?schönen Bildern? dem ?Geruch?, dem ?Gaumen?, dem ?Gefühl?. Die Geister schläfern Faust ein, er befindet sich in einem ?Meer des Wahns?, umgaukelt von ?süßen Traumgestalten?.
Diese Lähmung von Fausts Willen und Bewußtsein ist gleichzeitig verbunden mit der Dynamik, mit der sich Mephisto nun befreit.

Der Osterspaziergang

Faust I

Szene: Nacht

Die Szene ?Nacht? stellt der Anfang der sogenannten Gelehrtentragödie dar, in der Faust erkennt, dass er trotz aller Studien nicht so tief in das Mysterium der Welt eindringen kann, wie er gerne möchte, geschweige denn die Macht besitzt, in der Welt Lauf einzugreifen.

Zunächst ist auch wichtig zu bemerken, dass die Bezeichnung ?Tragödie? für Faust selbst im ganzen ersten Teil nicht zutrifft, genauso wenig wie das Rollenarsenal der ?Gelehrtentragödie? dem Muster der Tragödie entspricht.

Hier gibt es Engels- und Geistergesänge, den Geist des Mikrokosmos und des Makrokosmos, durch das Osterfest initiierte Erinnerungen, die für Faust eine lebensbewahrende Funktion haben und schließlich den leibhaftigen Teufel, der sich nun mit Hilfe eines Pakts und einer Wette Fausts bemächtigt und bestimmend auf sein Schicksal einzuwirken beginnt.

Dieser merkwürdigen Geisterwelt steht ein moderner Mensch gegenüber, der eine starke Individualität, profunde Kenntnisse und die Gabe zur Selbstreflexion und Selbstkritik besitzt und der sich bei aller Verzweiflung schließlich aus der Fülle seines Seins zum Leben entschließt.

Dabei durchläuft Faust ein weites Spektrum geistiger und emotionaler ?Abstürze?, aber auch Aufschwünge, die auf Wunschprojektionen beruhen, wie dem Mondscheingang auf ?Bergeshöhn? (392) oder auf der Anschauung, wie z.B. der Anschauung der symbolischen Zeichen des Makrokosmos oder des Erdgeistes, die ihm zunächst Hoffnung geben, durch deren Zurückweisung er aber in eine tiefe Depression verfällt.
Aus der Spannung zwischen Depression und hoher Motivation (Selbstmord und der Empfindung eigener Göttlichkeit 439)(himmelhoch jauchend ? zu Tode betrübt) ergibt sich schließlich, verbunden mit der Fülle der Faustschen Existenz, das Streben nach weiteren Erfahrungen, das ihn offen und bereit macht, die Existenz in ihrer ganzen Fülle wahrnehmen und umfassen zu wollen.

Grundlegend ist dabei, dass eine nachaufklärerische Desillusionierung vorherrscht, die in dem Satz gipfelt: ?dass wir nichts wissen können? (364). Die Studierstube wird als ?Kerker? empfunden. (siehe Ende Teil I)

Wagner-Episode:

Diese Szene spiegelt Faust unmittelbar nachdem er in der Erdgeist-Begegnung gespiegelt wurde: Muss sich Faust in der Begegnung mit dem Erdgeist als klein empfinden, so sieht er sich der biederen traditionsgebundenen und wissenschaftsgläubigen Wagner-Figur überlegen.
Insofern rettet Wagner Faust vor völliger Verzweiflung (610)
Während Wagner daran glaubt, durch immer mehr Wissen schließlich eine Vollendung zu erreichen, erlebt Faust die ungeheuere Spannung zwischen dem Gefühl der Nichtigkeit und der Gottähnlichkeit.
Nach Wagners Abgang wird Faust bewußt, dass es eben diese Spannung ist, die ihn verzweifeln lässt: ?Ich fühlte mich so klein, so groß;…? (627)

Gleichzeitig empfindet Faust die Überlieferungen der vergangenen Generationen als Last, von der er sich nicht hat befreien können. (676ff)

Faust erblickt den Tod als rettenden Ausweg, weil er sich von ihm die Befreiung von weltlicher Beschränkung erhofft.

Da wir uns in der Osterzeit befinden, verspricht er sich vom Tod eine Art Auferstehung,
doch wird Faust durch das Geläute der Osterglocken und den Chorgesang an die eigene Jugend erinnert, an die Zeit, als Faust in sich noch ? eine Welt entstehn? sah (778).
Die Erinnerung an diese Lebenskraft ist es, die ihn vom Selbstmord zurückhält, eine Lebenskraft, die auch im Gegensatz zu der lebensabgewandten Klause des Studierzimmers steht.

Wohlgemerkt: Es ist nicht eine metaphysische Macht, die ihn rettet, keine Gewissheit, in Gottes Hand aufgehoben zu sein. Die religiösen Implikationen sind nur Auslöser einer Rettung, für die Faust mit der Kraft der Erinnerung selbst verantwortlich ist.

Übrigens ist das auch von entscheidender dramatischer Bedeutung, denn Mephisto wird auf einen diesseitigen Faust treffen, keineswegs auf einen gläubigen Faust, schon gar keinen, der das Gesetz des Handelns außerhalb seiner selbst sucht.

(Der Text enthält Bewertungen aus dem Aufsatz von Erdmute Pickerodt-Uthlebe/Gerhart Pickerodt: Johann Wolfgang Goethe ? Faust I)

Faust


Faust I Johann Wolfgang Goethe

Zueignung

Bestimmung des poetischen Individuums:

Das Nahe rückt fern: „Was ich besitze seh ich wie im Weiten“ 31
Das Ferne rückt nah: „Und was verschwand, wird mir zur Wirklichkeit“ 32

Dichterische Imagination dominiert über Reales, die Voraussetzung für die Dichtung ist auf der subjektiven Ebene geschaffen. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen in einem imaginären Raum.

Vorspiel auf dem Theater

Hier wird die poetische Imagination in den institutionellen Zusammenhang des Theaters gerückt.
Das Theater erscheint als gesellschaftlicher Raum mit eigenen Gesetzen.
Dieser Raum vereinigt die Gegensätze:
rezeptionsästhetisch – kommerziell
spieltheoretisch – psychologisch
ideell – materiell

Die Gegensätze zwischen ?hoher? Kunst und ?niederer? Belustigung werden erörtert, aber nicht aufgehoben: Sie gehen als konstituierende Momente in das Spiel ein.

Der auf sein Menschenrecht pochende Dichter, den Autonomieanspruch der Dichtung einklagend, vermag sich nicht durchzusetzen, erscheint mit seinen hehren Ansprüchen unfreiwillig komisch.
Die lustige Person darf Wahrheiten aussprechen, denen eine praktische Weisheit nicht abzusprechen ist.
Der Theaterdirektor ist nur am finanziellen Erfolg interessiert.

Daraus folgt, dass es im theatralischen Spiel keine absoluten Positionen gibt, sondern nur relative, dass Wünsche und Ansprüche ? erscheinen sie für sich auch noch so gewichtig und bedeutend ? an denen der Mitspieler sowie der Institutionen gemessen und durch sie beschränkt werden.

Prolog im Himmel

Vor – Raum des Stückes, andererseits Teil der Handlung: Faust zwischen Mephisto und dem Herrn.

Relativierung der Macht Gottes durch die Rolle Mephistos.
Relativierung der menschlichen Position, der im Spannungsfeld dieser Mächte steht.

(Frage der Theodizee (Rechtfertigung Gottes angesichts des Elends in der Welt) im Zusammenhang mit dem Dialogteil des Erzengels Michael.)

Die Handlung wird hier in Gang gesetzt, allerdings keineswegs determiniert. Welche der drei Kräfte letztlich den Sieg davonträgt ist offen. Der Held trägt in diesem Drama durchaus auch eine eigene Verantwortung.

Faust ist also: Knecht und Vorzeigeobjekt des Herrn.
Verführungsobjekt des Teufels
Verkörperung eines Autonomiestrebens, das
permanent an den Gitterstäben
seiner Begrenztheit rüttelt und über diese hinaus
möchte.

Bildhaftigkeit der Szene:

Mephistos Darstellung des Menschen:

Der kleine Gott der Welt (281)
Tierischer als jedes Tier (286)
Langbeinige Zikaden, die immer fliegt und
Fliegend springt und gleich im Gras ihr altes
Liedchen singt; (288)
In jedem Quark begräbt er seine Nase (292)
Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise 301
Ihn treibt die Gärung in die Ferne 302
Staub soll er fressen und mit Lust, Wie meine Muhme, die berühmte Schlange 334
Mir geht es wie der Katze mit der Maus 322

Der Mensch aus Gottes Sicht:

Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, dass Blüt und Frucht die künftgen Jahre zieren 310
Ein guter Mensch……..ist sich des rechten Weges wohl bewußt 329

Die Wette:

Gottes Behauptung:
Es irrt der Mensch solang er strebt.
Der gute Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges stets bewußt.

Mephistos Behauptung:
Der Mensch tierischer als jedes Tier

Gott überlässt Faust dem Teufel: „So lang er auf der Erde lebt, so lange sei dir?s nicht verboten.“325f
(Faust scheint eher eine zwielichtige Figur zu sein)

Der Wetteinsatz scheint ungerecht verteilt zu sein:

Was Mephisto erhält wenn er die Wette gewinnt: Fausts Seele

Was Gott gewinnt: Und steh beschämt, wenn du erkennen musst…327

Es scheint so, als sei das Böse ein Mittel zum Zwecke des Guten.

Faust II

(nur wenige Bemerkungen)

Im zweiten Teil der Tragödie treffen wir eine weitgehend
umgestaltete Titelfigur an. Man könnte sagen, dass Faust nicht mehr dramatischer
Zweck, sondern dramatisches Mittel ist, er verliert die Kontur einer
geschlossenen Individualität, löst sich in variable Gestalten auf.

Neben den unterschiedlichen Gestalten, die die Faust-Figur
annimmt, verändert sich auch der geschichtliche Ort.

  1. Akt:
    Magier am spätmittelalterlichen Kaiserhof
  2. Akt:
    Fremdling im Rahmen der Klassischen Walpurgisnacht
  3. Akt:
    als hochmittelalterlicher Feudalherr vermählt er sich mit dem Urbild der
    Schönheit, Helena, und erzeugt mit ihr den gemeinsamen Sohn Euphorion als
    Allegorie der modernen Poesie.
  4. Akt:
    Feldherr im spätmittelalterlichen Kampf zwischen Kaiser und Gegenkaiser
  5. Akt:
    Moderner Kolonisator und Handelskapitalist

Auch Mephistos Rolle wechselt entsprechend.

An seinem (tragischen) Ende ist Faust nur noch Bourgeois. Er
schwelgt in profitablen und gleichzeitig fast größenwahnsinnigen Visionen von
der Unsterblichkeit seines Werkes und merkt, von Blindheit in jeder Hinsicht
geschlagen, nichts davon, dass die Spatengeräusche der Lemuren nur durch den
Aushub seines eigenen Grabes hervorgerufen werden.

In der Grablegung wird ironisch pathetisch Fausts „Unsterbliches“ von seiner irdischen Materie getrennt. Ebenso ironisch wird
Mephisto, getäuscht von der Liebe zu den himmlischen Rackern, um sein „erworbenes Recht“ (11833) gebracht. Mittels einer Liebe „von oben“ werden
quasi die auf der Erde vereinbarten Rechtsnormen außer Kraft gesetzt.

Die „geeinte Zwienatur“ (11962) Faust und Mephisto, d.h.
seine Doppelnatur, kann durch die ewige Liebe, dem schaffenden Prinzip in der
Natur geschieden werden.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum Goethe hier die
himmlischen Heerscharen bemüht und scheinbar einen veritablen Deus ex machina
erzeugt, um das Stück zu einem Ende zu zwingen.

Ich denke, dass Goethe diesen Schluss nicht als der Weisheit
letzten Schluss sah. Pathos und himmlische Flatterwesen können höchstens
erklärt werden als Ausdruck einer ironisch-skeptische Haltung Goethes. Er
scheint zu sagen: Seht her, ich habe den Menschen in Faust I im Hinblick auf
Verstand und Gefühl, auf die Grenzen seiner Möglichkeiten hin ausgeleuchtet,
ich habe in Faust II ein beeindruckendes kulturgeschichtliches Szenario
gestaltet und auch Spezifika meiner Zeit eingearbeitet, aber nach der Weisheit
letztem Schluss, dass sich nur „die Freiheit wie das Leben“ verdient, der täglich
sie erkämpfen muss, weiß ich auch nicht weiter.

Das ist gleichzeitig ein unglaublich moderner Ansatz, denn
indem er die himmlische Lösung ironisiert, hat er sie auch fast schon
abgeschafft. Ironisch ist auch, dass Gott letztlich einen Teil von Faust
besitzt, während Mephisto mit der leblosen Hülle dasitzt und mit dem Schicksal
hadert. Letztlich geschieht also das, was für den Menschen, für die Philosophie,
die Kunst und das tägliche Leben wichtig ist, nur in dem Zeitraum, in dem
Faust, der Mensch, lebt. Nur solange wir hienieden wandeln findet auch die
Auseinandersetzung mit dem Leben statt, die Erkenntnis und der Irrtum. Und wenn
etwas den Menschen erlösen kann (nicht nach dem Tod, sondern im Leben), dann
ist dies das fortwährende Streben im vergeblichen Versuch den Irrtum zu
bekämpfen, dann ist dies der tägliche Kampf um das, was ein strebendes Bemühen
als richtig erkennt und was sich in der Umsetzung als segensreich erweist, dann
ist das der schöpferische Versuch, den Dingen und sich selbst eine edle Form zu
verleihen, so wie Goethe das mit der Gestaltung seines Lebens versuchte. Dieses
Steben ist das „Ewig-Weibliche“, die Kraft, die einen schöpferischen
Fortbestand des Geistes und der Kultur ermöglicht und so den Menschen in seiner
Individualität transzendiert.